Matthias Jung


 

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Zeitsprung - Gemeinde 2030

 

 

Vom Durchbrechen der Schranken und der Aufwertung der Hausarbeit

Maria und Martha (Lukas 10,38-42) am 27.2. und 6.3.2011


Liebe Gemeinde,

diese Geschichte aus dem Lukas-Evangelium ist eine sehr merk-würdige Geschichte. Sie ist eine Begebenheit aus dem Leben und Wirken Jesus, in der die Botschaft des Evangeliums in reiner Klarheit aufleuchtet. Allerdings muss man dazu genau hinschauen. Es braucht einige Informationen über das Leben im damaligen Israel und man muss wissen, wie die Zeitgenossen Jesu manche der hier gebrauchten Wörter gehört und aufgefasst haben – nämlich anders als wir. Es geht dabei in dieser Begebenheit um ein Thema, das bis zum heutigen Tage hoch umstritten zwischen Männern und Frauen ist: die Hausarbeit.

Martha nimmt Jesus eines Tages auf und bewirtet ihn. Daran ist zunächst nichts auffällig. Jesus hat sich gerne einladen gelassen, zur Rolle des Gastgebers gehört eine entsprechende Verköstigung. Nun ist Martha eine Frau und spielt die Rolle des Hausherrn. Das ist vielleicht nicht die Regel gewesen, aber es war in Israel durchaus üblich, dass auch eine Frau Haushaltsvorstand sein konnte – wenn kein Mann im Haushalt wohnte. So hat Martha hier die Rolle des Hausherrn inne, ihre Schwester Maria ist ihr daher untergeben und hat zu tun, was Martha anordnet.

Aber das klappt nicht so, wie sie sich das vorgestellt hat. Martha hat eine Menge Arbeit, um Jesus und seine Jünger zu versorgen, das sind ja insgesamt 13 hungrige Männer. Sie wirbelt also in der Küche, kocht, backt, trägt auf – und ärgert sich.

Über Maria. Die tut nämlich – gar nichts. Statt ihre Rolle aus Frau auszufüllen und sich in die Küche zu stellen und Martha zu helfen, setzt die sich lieber Jesus und den anderen – Männern! – und hört ihm zu. Statt ihre Pflicht zu tun, lässt sie Martha alleine schuften. Sie lässt die Hausarbeit liegen, weigert sich, ihren Platz einzunehmen.

Irgendwann platzt Martha der Kragen und sie wendet sich – an Jesus. Den Mann. Der soll ihrer Schwester jetzt mal Bescheid sagen: »Jesus, so geht das nicht! Weise Maria mal zurecht, die soll mir helfen und ihre Pflicht tun und mir helfen anstatt hier faul rumzusitzen. Frauen gehören in die Küche und nicht in den Kreis der Männer!«

Jesus reagiert in seiner gewohnten Weise, indem er vertraute Dinge auf den Kopf stellt und neu ordnet. Er stellt sich zunächst hinter Maria, durchbricht die Hausfrauenrolle, stellt Maria als Frau den zuhörenden Männern gleich: »In meiner Nähe gibt es keine Hierarchie zwischen Männern und Frau, beide sind gleichwertig.« Paulus wird diesen Grundgedanken Jesu später aufgreifen und in seinen Briefen so beschreiben, wie wir das vorhin in der Lesung (Galater 3,26-28) gehört haben. Eine ziemliche Provokation in den Ohren der Zuhörer und Zuhörerinnen des damaligen Israel. Gerade der Evangelist Lukas berichtet aber in besonderer Weise, dass Frauen einen Zugang zu Jesus fanden, vielleicht einige sogar mit ihm und seinen Jüngern unterwegs waren.

Nun könnte man meinen, die arme Martha würde hier ziemlich zurecht gestutzt. So nach dem Motto: »Martha, lass jetzt mal dein sehr männliches patriarchales Verhalten nicht so raushängen, komm runter von dem hohen Ross des Hausherren, im Reich Gottes ist nicht mehr Mann noch Frau, nicht Jude oder Grieche, jeder Mensch ist von Gott gleich geliebt und wichtig. Und vor allem, lass die Hausarbeit ruhen, wenn ich da bin, die ist doch nicht so wichtig, du machst dir zuviel Sorge und Mühe.« Das aber wäre ein Missverständnis. Die Hausarbeit und Martha werden hier keineswegs in die Schranken verwiesen. Ein naheliegendes Missverständnis, aber dennoch ein Missverständnis, für das wir aber nichts können, weil wir das kleine Wörtchen »sorgen« anders hören als die Zeitgenossen Jesu.

Wenn Jesus an anderer Stelle das Wort »sorgen« verwendet, z.B. in der Bergpredigt, dann meint er immer die Sorge um den Lebensunterhalt, die bange Frage, ob ich morgen noch genug zu essen haben, einen Arbeitsplatz habe, um meine Familie versorgen zu können. Sorge ist im Sprachgebrauch der Zeitgenossen Jesu immer Sorge um die überlebensnotwendige Arbeit. Und hier sagt Jesus: »Martha, du hast viel Sorge.« Anders formuliert: »Martha, du kümmerst dich um wichtige Dinge.« Deswegen legt der Schweizer Theologe Christof Arn diese Geschichte so aus: Jesus würdigt und wertschätzt die Arbeit von Martha grundsätzlich als berechtigte Sorge um den Lebensunterhalt, und zwar ihre Hausarbeit! Er hebt sie auf die gleiche Ebene wie die Erwerbsarbeit der Männer - auch wenn er zugleich sagt, wenn ich da bin, kann und soll alle Arbeit erst einmal ruhen.

Wenn das stimmt, und ich glaube Christof Arn hat recht, dann ist dies eine Geschichte mit Sprengkraft. Dass Männer und Frauen in den Augen Gottes und Jesu gleichwertig sind, okay, damit können wir leben. Aber das Hausarbeit genauso wertvoll sein soll wie Erwerbsarbeit, das stieß damals und stößt heute auf Widerspruch.

Heute gilt nach wie vor die Grundregel: nur bezahlte Arbeit ist echte Arbeit, alles andere ist Ehrenamt und Familienarbeit. Das muss zwar sein, aber der Beruf ist allemal wichtiger. Es hat sich sicher in den letzten Jahrzehnten hier manches verändert, aber diese grundsätzliche Abwertung der Hausarbeit als nicht so wichtig zieht sich immer noch durch die Köpfe von Männern und Frauen und trennt uns voneinander. »Wer macht die Hausarbeit?« Überlegen Sie nur mal... Ein durchaus heikles Thema, denn nicht wenige Frauen sind absolut davon überzeugt, dass sie das eh besser können als ihre Männer. Mag sein. Aber...

Oder: Vor Jahrzehnten gab es noch weit mehr hauswirtschaftlichen Unterricht in der Schule, kochen, nähen, werken... Praktisch völlig verschwunden, alles spitzt sich heute darauf zu im Bildungswesen, dass ich Zugang zu den »echten« Arbeitsplätzen erhalte. Ist ja auch nicht verkehrt, aber zum Leben gehört auch, dass ich lerne, einen Haushalt zu führen. Wo lernen junge Menschen, vor allem die Jungs, aber auch viele Mädchen das heute noch...?

Jesus weist hier in dieser Geschichte mit diesem kleinen Satz »du hast viel Sorge« sehr klar darauf hin, dass die Arbeit der Frauen im Haushalt genauso bedeutsam ist wie die Arbeit der Männer auf dem Feld oder wo auch immer. Dass Maria an diesem ganz besonderen Tag die Hausarbeit mal links liege lässt, ändert daran nichts.

Und was machen wir damit? Männer an den Herd, Frauen ins Büro? Nun, vielfach sind die Frauen ja schon im Büro, die Hälfte aller Mütter inzwischen, stand diese Woche in der Zeitung, aber die Hausarbeit liegt immer noch zu erheblichen Teilen auf ihren Schultern. Was wäre, wenn Frauen hier mal streiken würden, wie die Lokführer diese Woche? Interessante Vorstellung... Können Sie sich ja mal zuhause oder gleich beim Kirchenkaffee ausmalen.

Nun, wir können nicht alles von heute auf gleich ändern. Und es verändert sich auch vieles unter uns. Die Geschichte von Maria und Martha, besser: Jesus erinnert uns daran, dass wir alle von bestimmten Vorstellungen geprägt sind, die wir irgendwann mal gelernt haben. Niemand kann sich davon frei sprechen. Jesus sagt aber: Ihr, die ihr Hausarbeit leistet, gleich ob Mann oder Frau, das ist eine genauso bedeutsame Arbeit wie alle andere Arbeit. Das durchbricht die Schranken und stellt Vertrautes auf den Kopf.

Amen.